Monday, September 25, 2017

Die Frauen des "Tango!"

1930 erreichte der Tonfilm Argentinien. Viele Tangomusiker waren entsetzt: eine wichtige Auftrittsbühne und Einnahmequelle, die ihnen während der Jahre des Stummfilms zur Verfügung stand, drohte ihnen aus den Händen zu gleiten. Drei Jahre später wurde der Tonfilm dann auch in Argentinien heimisch, und der erste, der im Lande produziert wurde hieß: Tango!

Der Film ist kein kinematographisches Meisterwerk. Im Gegenteil: die Handlung ist schwach, die Schauspielerei meistens unbeholfen und die Dialoge dürftig. Aber da ist die Musik! Die Produzenten brachten einige der besten Tangomusiker der Zeit zusammen. Unter ihnen sind vier herausragende Sängerinnen und Schauspielerinnen: Tita Merello, Azucena Maizani, Mercedes Simone, und Libertad Lamarque.

Karikaturen aus Caras y Caretas.
Von links nach rechts: Tita Merello, Azucena Maizani, Mercedes Simone, Libertad Lamarque

Die vier Frauen begannen ihre Karriere in 20er Jahren und waren bis nach den 40er Jahren die absoluten Superstars des Tangos. Im öffentlichen Leben waren sie allgegenwärtig: man sah sie in Zeitschriften, auf der Bühne, auf der Leinwand; man hörte sie auf Schallplatten und im Radio. 

1. Tita Merello


Tita Merello


Tita Merello (1904-2002) wuchs in den ärmlichsten Verhältnissen in Buenos Aires auf. Sie besuchte nie eine Schule und lernte Lesen und Schreiben erst, als sie Fortschritte in ihrer Bühnenkarriere machte. Ebenfalls durchlief sie nie eine Ausbildung als Schauspielerin oder Sängerin, errang aber schnell einen Ruf als erstklassige Darstellerin. Ihr erster Bühnenversuch asl Sängerin—sie war noch im besten Backfischalter—endete in solch einem Fiasko, dass sie schwor, nie wieder zu singen. Dennoch sang sie bald wieder Tangos in Theaterstücken, die so beliebt wurden, dass sie auf Schallplatten aufgenommen wurden.

1932, ein Jahr vor der Fertigstellung von Tango!, feierte Merello einen großen Erfolg in La Muchachada del Centro, einer musikalischen Komödie mit Musik von Francisco Canaro zu einem Textbuch von Ivo Pelay. Canaro, der auch das Orchester dirigierte, erinnerte sich ihrer später als einer anspruchsvollen Perfektionistin während der Proben. Die Komödie was einer der größten Theatererfolge des Jahres und wurde nur abgesetzt, da Canaro zuvor andere Verpflichtungen eingegangen war.


In Tango! spielte Merello die Rolle einer jungen Frau aus den Armutsvierteln, zu der der männliche „Held“ am Ende zurückkehrt, nachdem er sie hatte sitzen lassen, um sein Glück anderweitig zu suchen. Das Orchester, das Merello im folgenden Ausschnitt begleitet, ist das Conjunto de la Guardia Vieja von Ernesto Ponzio (Geige) und Juan Carlos Bazán (Klarinette).





2. Azucena Maizani

Azucena Maizani


„Eine hübsche junge Frau mit tiefschwarzem Haar kam oft ins 'Pigall'. Als wir uns eines Abends unterhielten, erzählte sie mir, dass sie auch sang. Ich hatte die Idee, sie zu fragen, ob sie nicht Lust hätte, nach einigen Proben vor einem Publikum zu singen. Ich würde sie mit meinem Orchester begleiten. Sie nahm das Angebot gerne an, und nachdem wir geprobt hatten, kündigten wir sie dem Publikum an. Ich stellte sie selber unter den Name 'Azabache' vor—auf Grund ihrer Haare. Sie sang El rebenque planteado und die Milonga La Verdolaga, die sie Carlitos Gardel abgehört hatte. Es muss gar nicht erwähnt werden, dass sie von Anfang an einen riesigen Erfolg hatte, denn sie sang wirklich wunderbar und mit viel Gefühl.“

So beschrieb Francisco Canaro, wie er Azucena Maizani (1902-1970) entdeckt hatte. Der Beiname 'Azabache' (Gagat, pechschwarz), den Canaro ihr gab, hielt sich nicht, aber sie wurde schnell eine äußerst beliebte Tangosängerin, die zu den meist auf Schallplatte aufgenommenen Künstlern der 20er Jahre gehörte (mit dem Orchester Francisco Canaro).


In Tango! tritt sie bezeichnenderweise gleich zu Anfang auf und singt während des Filmvorspanns. Im Film selber erscheint sie als Tangosängerin in einem schäbigen Cabaret der Vororte Buenos Aires. Das orquesta típica wird von Juan de Dios Filiberto dirigiert, der auch der Komponist des Tangos im folgenden Ausschnitt ist. (Botines viejos, mit einem Text von Alberto Vaccarezza.)





3. Mercedes Simone

Mercedes Simone

Mercedes Simone (1904-1990) begann an der Seite ihres Mannes, des Gitarristen Pablo Rodríguez, zu singen. Anfangs sang sie nur am Wochenende in den Kleinstädten der Umgebung ihrer Heimatstadt La Plata, um das Familieneinkommen zu erhöhen. Ihr Debüt als Berufssängerin feierte sie 1926 in Bahía Blanca.

Unbeabsichtigterweise gab Simone einen entscheidenden Anstoß zur Popularisierung der getanzten Milonga. Rosita Quiroga hatte Homero Manzi gebeten, ihr eine Milonga zu verfassen. Manzi bat Sebastián Piana um Hilfe, und beide komponierten Milonga sentimental. Rosita Quiroga gefiel das Stück nicht, da es nicht ihren Erwartungen entsprach und nicht in ihr Repertoire passte. Piana fragte daher Mercedes Simone, ob es ihr zusagen würde. Sie nahm es auf einen Konzerttour nach Montevideo mit und sang es dort mit großem Erfolg. Sie war die erste, die die Milonga nach ihrer Rückkehr nach Buenos Aires auf Schallplatte aufnahm.

In Tango! singt Mercedes Simone auch die Milonga sentimental, begleitet von Pedro Maffias orquesta típica. 1934 griff Maffia das Stück wieder auf und ließ es von Rosita Montemar während der Radioübertragung eines groß angekündigten Konzertes singen. Damit gelang der Milonga sentimental der Durchbruch zur Beliebtheit beim größeren Publikum.


Im folgenden Filmausschnitt singt Mercedes Simone Cantando, eine eigene Komposition, begleitet von Pedro Maffia und seinem orquesta típica.







4. Libertad Lamarque

Libertad Lamarque



Libertad Lamarque (1908-2000) kannte die Theaterbühne schon von Kindesbeinen an und fing mit 12 Jahren an, berufsmäßig als Schauspielerin zu arbeiten. Auf der Bühne sang sie zum ersten Mal einen Tango im Jahr 1926. Ein Jahr später wurde sie von der Schallplattenfirma Victor unter Vertrag genommen. 1931 nahm sie an einem Wettbewerb, La Fiesta del Tango, in Buenos Aires teil, in dem sie den ersten Platz belegte und damit zur „Königin des Tangos“ gekrönt wurde.

Libertad Lamarque während ihres Vortags von La Cumparsita bei der Fiesta del Tango
Mitte oben sieht man das Orchester Francisco Canaro.



Im folgenden Ausschnitt des Films sieht man Libertad Lamarque als Sängerin der besseren Gesellschaft während ihrer Reise auf einem Ozeandampfer nach Paris.




5. La Orquesta de Señoritas




Neben Sängerinnen gibt es nur wenige Tangomusikerinnen, die mit Namen bekannt sind. Trotzdem waren Orchester, die hauptsächlich oder ausschließlich aus Frauen bestanden, keine große Seltenheit. Sie gehörten zu Ensembles, die zum Beispiel in Cafés auftraten. Über die Gruppe, die im folgenden Ausschnitt den Tango Pipiolo darbietet, wurde im Film leider keine Angaben gemacht. Es ist aber offensichtlich, dass dort fachkundige Musikerinnen auftraten, die sich darauf verstanden, einen Tango zu spielen.





© 2017 Wolfgang Freis

Sunday, September 24, 2017

The Women of "Tango!"

(Zur deutschen Version)


In 1930, the sound film came to Argentina. Many tango musicians were outraged: an important performance venue and source of income that had been available to them through the years of the silent movie was slipping from their hands. Yet, three years later the sound film took roots in Argentina, and the first one to be produced in the country was: Tango!


The film is not a masterpiece of cinematography. On the contrary: the plot is weak, the acting generally clumsy, and the dialogues are paltry. But there is the music! The producers of the film brought together some of the best tango musicians of the time. Among them are four outstanding female singers and actresses: Tita Merello, Azucena Maizani, Mercedes Simone, and Libertad Lamarque.

Cartoons from Caras y Caretas.
From left to right: Tita Merello, Azucena Maizani, Mercedes Simone, Libertad Lamarque

Beginning their careers in the 1920s, the four women became the superstars of tango in the 1930s-40s. They were omnipresent in public life—to be seen everywhere in magazines, on stage, and on screen; and to be heard on record and on the radio. 

1. Tita Merello


Tita Merello


Tita Merello (1904-2002) grew up in the poorest circumstances in Buenos Aires. Never having visited a school, she only learned to read and write when she started to make advances on the theater stage. She was not formally trained as an actress or singer but quickly gained a reputation as a first-rate performer. Her first appearance as a singer, when she was still a teenager, turned out to be such a complete flop that she vowed never to sing again. However, she continued to sing tangos in plays which became so popular that they were also released on records.


In 1932, a year before Tango! was shot, she celebrated a great success appearing in La Muchachada del Centro, a musical comedy with music by Francisco Canaro to a libretto by Ivo Pelay. Canaro, who conducted the orchestra during the shows, remembered her as being a demanding perfectionist during rehearsals. The play was one of the great theatrical successes of the year, and performances were discontinued only because Canaro had other commitments


In Tango! , Merello plays the part of a girl from the suburban tenement housings to whom the male 'hero' returns in the end—having abandoned her to seek fame and fortune. The orchestra accompanying her in the following clip is the Conjunto de la Guardia Vieja of violinist Ernesto Ponzio and clarinetist Juan Carlos Bazán.




2. Azucena Maizani

Azucena Maizani


A pretty young woman with very black hair frequently visited the 'Pigall'. As we were talking one night, she told me that she sang. It occurred to me to ask her if she would not like to sing, after a few rehearsals, in public. I would accompany her with my orchestra. She graciously accepted, and after having rehearsed, we announced her to the public. I presented her myself under the name of 'Azabache' because of her black hair. She sang El rebenque planteado and the milonga La Verdolaga, which she had learned by listening to Carlitos Gardel. It does not need to be said that she had a colossal success from the very beginning because she really sang well and whith much feeling.”


This is how Francisco Canaro described how his discovery of Azucena Maizani (1902-1970). The sobriquet azabache (gagate, jet-black) that Canaro had bestowed on her did not stick, but she quickly became an enormously popular tango singer, one of the most recorded in the 1920s (incidentally, with the orchestra of Francisco Canaro).


Significantly, she appears at the very beginning of Tango!, signing during the opening titles and credits. She also appears as a tango singer in a dingy cabaret in the suburbs of Buenos Aires. The orquesta típica is led by Juan de Dios Filiberto, who is also the composer of the tango sung in the following excerpt. (Botines viejos, text by Alberto Vaccarezza.)





3. Mercedes Simone

Mercedes Simone

Mercedes Simone (1904-1990) started her singing career at the side of her husband, the guitarist Pablo Rodríguez. Singing at first only at weekends to increase the family income in small towns in the area of her hometown, La Plata, she made her professional debut in 1926 in Bahía Blanca.

Inadvertently, Simone gave an important impulse to the popularization of the danced milonga. Rosita Quiroga had asked Homero Manzi to write a milonga for her. Manzi asked Sebastián Piana for help, and the two composed Milonga sentimental. However, Quiroga did not like the piece; it was not the kind of milonga she expected and did not fit into her repertoire. Piana asked Mercedes Simone if she would take a look at it. She took it along on a concert tour to Montevideo and performed it there with great success. Back in Buenos Aires, she was the first to record it.

In Tango!, Simone sings Milonga sentimental accompanied the orquesta típica of Pedro Maffia. In 1934, Maffia performed the piece again (this time with the singer Rosita Montemar) at a well-publicized radio broadcast, after which Milonga sentimental gained popularity with the general public.

In the following excerpt of the film, Mercedes Simone sings her own composition Cantando, accompanied by Pedro Maffia and his orquesta típica.







4. Libertad Lamarque

Libertad Lamarque


Libertad Lamarque (1908-2000) knew the theater stage already as a child and started to work professionally as an actress when she was twelve years old. In 1926, she sang a tango the first time in a play and was contracted in the following year by the Victor company to make recordings. In 1931, she participated in a competition, La Fiesta del Tango, in which she took first prize and thus was crowned the “Queen of Tango”.

Libertad Lamarque during her performance of La Cumparsita at the Fiesta del Tango. At the top, the orchestra of Francisco Canaro.


In the following excerpt of the film Libertad Lamarque appears as an upper-class singer performing on an ocean liner, on which the male 'hero' has embarked on his way to Paris.




5. La Orquesta de Señoritas



Apart from singers, only a few female tango musicians are known by name. Nevertheless, orchestras consisting mostly or exclusively of women where not that uncommon. They belonged to the kind of ensembles that would perform in cafés, for example. The group playing the tango Pipiolo in the following excerpt is, unfortunately, unidentified, but they certainly knew how to play a tango.





© 2017 Wolfgang Freis

Sunday, September 17, 2017

The Kings of Tango: Enrique Saborido



Enrique Saborido


How Enrique Saborido Composed his Tango “La Morocha” Twenty-Two Years Ago


[An Interview by Ernesto de la Fuente, Buenos Aires, 1928]







As we meet Enrique Saborido, the unforgettable composer of one of the most memorable tangos ever sung in Argentina, we recollect—like a memory from the days of childhood—the music and words that even schoolboys today know and hum, despite the time that has passed.


Who, in more than twenty years, has not heard at some time the verses of “La Morocha”, accompanied by a simple melody, that reflect the happy way of live, filled with poetry, of the Pampa countryside?

Yo soy la morocha,
La más agraciada,
La más renombrada,
De esta población;
Soy la que al paisano
Muy de madrugada
Brinda un cimarrón.

I am the brunette,
the most graceful one,
the best renowned
in this village;
I am the one who,
at the break of dawn,
toasts a mate to the country folk.

The author of the text, Villoldo, who died a few years ago, knew how to interpret the true feeling of the gaucho spirit in his verses and imprinted on them all the sentiment of a true criollo.

“Tango then [1906] was not like the tango of today,” tells us Saborido, who was perhaps the first to enjoy the pleasures of triumph with one of the most successful productions of national tango.

“Why was tango in the past different from today?”we ask the old composer.

“Because currently it wants to be modernized, dropping its blessedly traditional character, even changing the grace of its rhythm, which used to be the true soul of tango.”

“At present, one even dances it differently,” he adds. “Those who remember how one danced twenty years ago can appreciate the huge difference that exists between the two periods.”

Accordingly, Saborido longs for the spiritual beauty of the old days, when there were no cabarets and there existed only certain places where friends could gather and amuse themselves a la criolla.

“At what age were you introduced to music composition?”, we ask him.

“When I was very little,” he responds, “a few years after arriving in Argentina.”

“You are, then, not from this country?”“I am Uruguayan, but I came to Argentina when I was four years old. Later, as an adult, I became an Argentinian citizen and I consider myself as porteño as any ...”

“My parents,” he continues, “wanted me to learn music, and my first violin lessons were given to me by the violin teacher Gutiérrez, under whose auspices I remained until I was twelve years old.”

“And did your career as a violinist end then?”

“A year later I was playing something on the piano, and having made contact with some musicians of popular music, they called me, when they needed someone as a replacement. That was why I gave up the violin and continued with the piano, composing once in a while some little pieces of popular music.”

“Those were beautiful days …?”

“Unforgettable, completely different from today. Family gatherings were taking place every day and I used to be invited into the houses of well-known families to participate in the orchestras. And since I was a young lad, they received me with cordial affection.”

In the houses of the Hileret, Molina, Gowland, Arredondo, and many others I became an habitué, and all my odd improvisations at the piano were much appreciated...

“And outside of the family environment?”

“There were what I call pre-historic cabarets, like the Hansen, a center of amusement for the elegant crowd of the era. The most unforgettable parties were celebrated in this place, organized by gentlemen that today flaunt white hair and perhaps reprimand their children when they get into the kind of mischief that they were in the habit of making...”

“Was it at that time that you composed La Morocha?”

“In 1906, and under really special circumstances.”

“Inspired, perhaps, by some cute little criolla of those days...”

Saborido contemplates. It seems as if scenes of that unforgettable past come back to life in his mind.

“At that time, there still existed the 'Bar Reconquista' of the well-liked Ronchietti,” he tells us. “I used to go there often and so did also a charming Uruguayan dancer called Lola Candales ...”

“She was your muse?”

“I shall tell you. One night the gathering was extremely animated, among the fellows being Victorica, Argerich, the representative Félix Rivas and others. As they had noticed that I was very keen on Lola, who was an elegant brunette, they challenged my self-esteem by claiming that I would not be able to write a tango that she could sing successfully. The party continued and it was early morning when we left. I went to bed and was at the point of falling asleep when I remembered the challenge.”

“And right then you wrote your tango.”

“Immediately. It was five o'clock and I sat down at the piano. At half past six I had composed the piece. One hour later I was in the apartment of my friend Ángel Villoldo, asking him to write the text. At ten o'clock in the morning text and music were finalized, and at noon we were both visiting Lola Candales...”

“To play the new tango for her?”

“That's it. She memorized and rehearsed it and that night, in the presence of that whole memorable gang, she sang it herself, for the first time.”

“A complete success?”

“Absolutely. It was repeated eight times to the applause of the audience, and the representative Rivas sent Lola $200 as a price for her success.”

“And then?”

“I took it to Luis Rivarola, who was the main music publisher. He printed it and one month later all of Buenos Aires was singing it unlike any tango, I think, had ever been sung. It was an unexpected triumph, and I rarely felt so happy as then.”

“Did you write other tangos thereafter?”

Felicia, Pochocho, Berlina de Novia, Don Paco, Señor Ley, Mosca Brava, Coraceros del 9, and others until 1911, when I gave up composition completely.”

“Why?”

“Because I had been invited by the Marchioness de Reszke, widow of the famous tenor Jean de Reszke, to go to Paris and try to introduce Argentine tango. I accepted, and a few months later in France I had my first successes teaching orchestras to play tango properly and giving dance lessons to prominent society members of the City of Light.”

“I was also asked to serve as an arbitrator to show that the furlana was no more decent than tango, until even the newspaper Le Gaulois, which was the journal of the catholics, published an article praising the grace and beauty of the Argentinian dance.”

“Later, I organized a pericón in the palace of the Marchioness Reszke that was attended by the most distinguished in the arts, letters, and journalism that Paris had to offer. The praises were also unanimous.”

“And why did you return to this country?”

“When the war broke out. I had a true desire to return to this land, and I took advantage of the situation. I arrived here and, forgetting music and tango almost completely, engaged in other matters. Imagine, today I have a position in the National Administration, a thing diametrically opposed to my former inclinations.”

“And why don't you rejoin the body of today's composers, seizing your scepter as the King of Tango?”

“Incidentally, I am about to do just that. Having been forgotten for so many years, I would like to make a come-back, like with La Morocha. I have even published some new pieces.”

“Which are they?”

Pegué la Vuelta, Ingratitud, La Hija de la Morocha, Caras y Caretas, ...”

Saborido sits down at the piano and plays his new productions. They are filled with rare melancholy and brim with an exquisite spirituality. It is the tango of yesteryear returning with all the tradition of those who created it, with emotion, poetry, and its own rhythm.


Comments


The Origin of La Morocha

Enrique Saborido (1877-1941) was, together with Ángel Villoldo and the duo of Alfredo Gobbi and Flora Rodríguez, among the first international stars of tango. All four were directly involved in establishing tango in Paris and thus were instrumental in bringing it to a world-wide attention. Saborido's La Morocha became, like Villoldo's El choclo and El Porteñito, one of the iconic pieces that are inseparably connected to the first glorious period of tango at the beginning of the 20th century.

The story of La Morocha's genesis has by now become legend, having been repeated in countless tango histories since its first appearance in Caras y Caretas. It is, of course, just one of those stories that journalists like to tell and the audience loves to hear. In an earlier interview, Saborido had told a different version of the first performance of La Morocha. According to that account, it took place in the restaurant “Tarana” (the successor of the “Hansen” mentioned in the article), performed by a trio of instrumentalists that included Saborido, but no singer. Who is to know if it unfolded? It seems odd, though, that Saborido's friends would have challenged him to write a tango song, that is, a sung piece, with which a dancer was expected to triumph.

For its time, La Morocha is not an ordinary tango. In the first two decades of the 20th century, most tangos were pieces of instrumental music, consisting usually of three sections. La Morocha is a two-part composition, a musical form that is common of songs with strophic texts. Typically, in such two-part song forms the music of the first section (A) is repeated and then followed by a refrain (B), thus giving it the characteristic AAB form. The poetic structure of La Morocha follows indeed this model.

1. Stanza

[A] Yo soy la morocha,
la más agraciada,
la más renombrada
de esta población.
Soy la que al paisano
muy de madrugada
brinda un cimarrón.

[A] Yo, con dulce acento,
junto a mi ranchito,
canto un estilito
con tierna pasión,
mientras que mi dueño
sale al trotecito
en su redomón.

[B] Soy la morocha argentina,
la que no siente pesares
y alegre pasa la vida
con sus cantares.
Soy la gentil compañera
del noble gaucho porteño,
la que conserva el cariño
para su dueño.
2. Stanza

[A] Yo soy la morocha
de mirar ardiente,
la que en su alma siente
el fuego de amor.
Soy la que al criollito
más noble y valiente
ama con ardor.

[A] En mi amado rancho,
bajo la enramada,
en noche plateada,
con dulce emoción,
le canto al pampero,
a mi patria amada
y a mi fiel amor.

[B] Soy la morocha argentina,
la que no siente pesares
y alegre pasa la vida
con sus cantares.
Soy la gentil compañera
del noble gaucho porteño,
la que conserva el cariño
para su dueño.

Correspondingly, it is precisely in this form, with additional introduction and coda, that Lola Membrives recorded the piece in 1909. The following example reproduces the first stanza and the refrain of the Membrives recording.





La Morocha and the Habanera


At the time when Saborido composed La Morocha, the orquesta típica, the standard tango ensemble consisting of bandoneons, violins, bass and piano, did not yet exist. Violin, flute, guitar, mandolin and an occasional bandoneon where the instruments commonly used. The bass line of the compositions, which was played by the guitar, contained a rhythmic figure characteristic of early tangos: the habanera rhythm.


This rhythm was so prevalent in early tangos that it is said that tango is a descendant of the Cuban habanera. This attribution is problematic in as much as a stylistic dependency is inferred from a rhythmic figure of one measure length. Furthermore, in the last third of the 19th century, the habanera was an immensely popular song form in European music. (The reader may recall the habanera from Bizet's opera Carmen or Sebastián Iradier's La Paloma.) Any influence the habanera may have had on tango could have just as well come from Paris or Madrid.

Iradier: La Paloma

Nevertheless, Saborido's La Morocha seems especially indebted to the habanera. Habaneras like those by Bizet and Iradier show another rhythmical figure that is typical of habanera songs in addition to the rhythmic figure in the accompaniment; namely, triplets in the melody that are juxtaposed against the dotted rhythm of the habanera rhythm. This combination, which creates characteristic rhythmic tension, is also found in the refrain of La Morocha.  

Saborido: La Morocha, excerpt
In short, considering the two-part song form and the strong rhythmical influence of the habanera, one might ask if La Morocha should not be called a habanera rather than a tango—if it were not for the text.

Stylistic Changes of Tango


Saborido comments (in 1928) that tango had changed in the preceding twenty years (and with it the way it was danced)—pointing out, in particular, the rhythm. After 1915, tango musicians began to drop the habanera rhythm, so that by 1920 the rhythmic accompaniment was plaid in straight eighth notes rather than the dotted habanera rhythm used before. The emergence of the standardized orquesta típica seems to have played an important part in this development: the guitar was replaced by a double bass and piano, and with it the bass line changed from dotted to straight eighth notes.


A recording of La Morocha by Francisco Canaro from 1929 illustrates the change. Canaro still pays tribute to the rhythms of yesteryear: the habanera rhythm is still present, but it is kept in the middle voices. The rhythmic fundament consists of straight, march-like eighth notes.

Even more pronounced is the change in the refrain of the melody part. The triplets were changed by Canaro to typical tango rhythms: the triplet becomes a síncopa.

Triplets in original score, as sung by Membrives.

Rhythms as played by Canaro.

The differences in style and performance between Lola Membrives and the Canaro orchestra are striking. Lola Membrives' recording is a vocal performance of a song as it might have been given on a theater stage or a varieté. It is a piece of music to be listened to. The tempo is flexible and the singer slows down or speeds up the tempo in order to highlight the vocal performance.

In Canaro's recording, the tempo shows little variance and the beat is strong and steady. The singer is employed like an estribillista, that is, a refrain-singer: the piece is practically an instrumental piece and the singer sings only one short section of the text (in this case the first stanza, not the refrain). This arrangement of La Morocha was not intended to show off the skill of a singer. It has a strong and steady rhythm that moves the listeners forward—while they are dancing.





© 2017 Translation and Comments Wolfgang Freis





Sunday, September 10, 2017

Tango im Theater


Die argentinische Illustrierte Caras y Caretas veröffentlichte in den Jahren 1902-3 eine wöchentliche Kolumne mit dem Titel „Photographische Spaziergänge durch die Stadt“, die Artikel mit Photographien aus Buenos Aires wiedergab. Die Themen änderten sich von Woche zu Woche: Persönlichkeiten und Typen der Stadt, Ansichten von Straßen und Häusern in schlechtem Zustand, Unfälle, Merkwürdigkeiten, usw. waren gängige Inhalte. Signiert wurden die Artikel von Sargento Pita („Polizeiwachtmeister Pfeift“), einem Pseudonym, hinter dem sich wahrscheinlich José Álvarez (auch: „Fray Mocho“), der Direktor der Zeitschrift, befand.


Ein Artikel sticht hervor; nicht nur, weil er vielleicht der erste war, der den Tango thematisierte, sondern auch, weil er Photographien von Tangotänzern enthält.

Tango Criollo 


Er ist kaum Bürger von Buenos Aires und hat es noch nicht geschafft, sich an seine Umgebung zu gewöhnen: so wie seine Vorgängerin, die Milonga, die es schwierig fand, sich unter dem Dach der ländlichen Höfe, wo die Gitarre der criollos das ferne Gedächtnis Andalusiens belächelt, zu Hause zu fühlen.


Der gato und der pericón hier in der Pampa und die cueca in den Bergen haben hartnäckig die Anmut und Grazie verteidigt, die ihnen ihre ursprüngliche Wiege vermachte. Die wollüstige und schlüpfrige Liebkosung, mit der der afrikanische Candombe die ländlichen Tänze verfälschen wollte, fand außerhalb des perigundín und der [Tanz-] Akademie keine begünstigte Umgebung.



Die gemessenen und schlaftrunkenen Habaneras eroberten mit Leichtigkeit den trägen compadrito, der sich schon am schlüpfrigen Schütteln der Milonga ergötzte. Beide [Tänze] erschufen den plebejischen Tango, dessen Anfangsschritte ein paar kümmerliche Paare von gelangweilten Nichtstuern heute in den Gassen der Mietskasernen zum Klang des Leierkastens üben, wie eine Nachahmung anderer Zeiten,.

Diese [Tänzer] sind nicht die Gestalten des klassischen Tanzsaals des regionalen Tanzes, wo corte und quebrada und der schneidige Gevatter Dolch-im-Strumpfband, der sich an einer Prügelei ebenso beteiligte wie an einer Liebesaffäre oder Intrige, souverän regierten.

Erhalten wurde die Erinnerung an den Tangos dank der Podestá, welche sie pflegen. Aber die Gestalt des streitbaren compadres, der ihn tanzte, ist für immer verloren. Seine verschwimmenden Umrisse werden kaum noch von den paar Hinterbliebenen irgendeines blutigen Dramas von damals heraufbeschworen.


Die von Alto und Balvanera sind verschwunden: mit ihren ländlichen Hosen; dem Poncho über der Schulter; auf den Lippen freche Unverschämtheit, die untrennbare Begleiterin des heimtückischen Dolches und der Stöckelschuhe, die den Schritt behinderten und ein feminines Schwingen der das Gleichgewicht suchenden Hüften erzwangen!




Heute ist [Tango] kein Parteibanner mehr, wie in den Tagen der Anhänger von Mitre und Alsina, sondern einfache Straßenunterhaltung im Kreise müßiger Freunde. Und wenn wir noch nicht seinem Tode beiwohnen, so hören wir doch die Glocke seinen Todeskampf verkünden.

Aber vielleicht stirbt er trotzdem nicht. Aus Europa hören wir (erfreulich für die, die sich mit cortes und hamacadas auskennen), dass der Tango der Yankees—dass heisst, der unsrige ins Englische übersetzt und als cake-walk importiert—bei den Tanzabenden der Pariser Aristokratie Aufsehen erregt.

Wer weiß, ob nicht schon die Podestá gebeten wurden, den traditionellen Tanz unserer compadritos, den sie unter so vielen Opfern bewahrt haben, nach Frankreich zu bringen? Und mit ihm einige dieser abendlichen Straßentänzer, die die Polizei heutzutage als Eckensteher und „unangebracht Beschäftigte“ aufzugreifen pflegt?

Werden die roten Nelken, die die Wange züchtigen, wieder blühen? Der stöckelnde und grazile Schritt und die quebrada, die den Boden mit dem Ohr fegte?

Der criollo compadrito und der eingelebte Italiener aus La Boca waren die bekannten Kultivatoren des Tangos, aber die einen wie die anderen sind mit ihrer eigentümlichen Kleidung von der Szene verschwunden. Um sie heute wiederzubeleben, wird man Szenen aus anderen Zeiten nachbilden, sich mit groben Umrissen begnügen und interessante sowie malerische Details übergehen müssen.


Sergeant Pita

In neuerer Zeit wurde der Artikel als ein frühes Beispiel für eine Geschichte des Tangos interpretiert (Hugo Lamas, Enrique Binda: El Tango en la Sociedad Porteña, 1880-1920, 1998). Als solche wurde er auch sehr kritisch beurteilt. Tatsächlich ist der Text schwer zu verstehen und erwähnt die relevanten historischen Hintergründe sehr nachlässig. Es ist allerdings interessant, dass er schon einige Mythen und Legenden enthält, die später zum festen Bestandteil der Tangogeschichte wurden. Die Photographien (zwei tanzende Männer), z.B., spielen auf die (nicht haltbare) Ansicht an, dass Tango anfangs nur von Männern getanzt wurde. Zur Tango-Mythologie gehört es auch, dass der „plebejische“ Tango von der „schlüpfrigen“ Milonga und der „schlaftrunkenen“ Habanera beeinflusst wurde; dass er von faulen Halunken der untersten Gesellschaftsschichten kreiert wurde, deren Tänze oft in Streit und Messerstechereien endeten. Typisch für die „Geschichtsschreibung“ in diesem Artikel sowie in späteren Versuchen ist, dass die beschriebenen Ereignisse immer in einer schleierhaften Vergangenheit stattfanden, in der die Autoren nicht anwesend waren und die sie nicht genauer festlegen können.


Aber vielleicht sollte man von diesem Artikel nicht verlangen, was er nicht verspricht. Er erhebt keinen auf Anspruch auf Geschichtsschreibung. „Polizeiwachtmeister Pfeift“ weist auf Zu- und Missstände in Buenos Aires im Jahre 1903 hin, und dies auch mit einem ironischen Augenzwinkern.

Die Photographien in einer regelmäßigen Kolumne von Caras y Caretas erschienen zu lassen, deutet an, dass man sie als zufällige Aufnahmen aus dem Stadtleben präsentieren wollte. Eine spätere Ausgaben der Zeitschrift widerspricht aber dieser Annahme. Sechs Monate nach dem Artikel wurde ein Klavierauszug des Tangos El Maco von Miguel Tornquist in Caras y Caretas abgedruckt. (Tornquist war der der musikalisch veranlagte Sprössling einer der vornehmsten Familien von Buenos Aires.) Sechs Photographien eines tango-tanzenden Paares, diesmal eine Frau und ein Mann, illustrierten die Noten.






Es ist offensichtlich, dass die beiden Photoserien zusammengehören. Der “Führende” ist in beiden der selbe, und da er die gleiche Kleidung trägt, kann man annehmen, dass die Photos zur gleichzeitig aufgenommen wurden. Dies wird auch dadurch bekräftigt, dass einige der Posen übereinstimmen.








Die Tänzer der beiden Serien werden nicht mit Namen genannt. Lamas und Binda identifizierten aber einen Tänzer—leider ohne Angabe der Quelle—als Arturo de Nava (wahrscheinlich ist er der „Führende“). De Nava stellt auch eine Verbindung zu einem anderen Namen her, der im Artikel erwähnt wird: dem der Podestá.

Die Podestá Brüder waren eine Familie von Zirkusartisten, die sich mit der Aufführung von Gaucho-Melodramen einen Namen gemacht hatten. Am Ende des 19. Jahrhunderts wechselten sie vom Zirkus ins Theater und spezialisierten sich auf Stücke, die das Stadtpublikum ansprachen und in den Vororten und Mietskasernen von Buenos Aires, also dem Milieu des Tangos, spielten. Antonio Podestá wird es zugeschrieben, den ersten Tango für ein Theaterstück komponiert zu haben, der von seinem Bruder Pablo getanzt wurde.


Zur Zeit der Veröffentlichung der Photographien was Arturo de Nava ein bekannter Sänger, Komponist und Schauspieler in der Podestá Truppe und trat oft als Tangotänzer auf. Wenn er der Abgebildete war, dann wurde er sicherlich von vielen Lesern wiedererkannt. Dass er nicht genannt wurde entspricht aber der Thematik der Zeitschriftenspalte: gezeigt werden nicht zwei Schauspieler, die Tango tanzen, sondern zwei „Eckensteher und 'unangebracht Beschäftigte'“, die „Polizeiwachtmeister Pfeift“ zur Ordnung ruft.

Der Artikel wurde im Februar 1903 veröffentlicht, kurz vor dem Höhepunkt der jährlichen Tanzsaison, dem Karneval, zu dessen Abschluss die größten öffentlichen Tanzveranstaltungen in den Theatern stattfanden. Zu diesen Theatern gehörte das Apolo, in dem die Podestá auftraten. Da Tango nun auf der Bühne aufgeführt wurde, wurde er auch beim Publikum beliebt—besonders bei den Karnevals-Tänze in den Theatern. Caras y Caretas berichtete über die Tänze in den Theatern zu ersten Mal im Februar 1904: 


Die Karnevals-Tänze

...
Der cake-walk (dieser Tanz, von dem manche behaupten, er sei ein Symbol des Lebenskampfes) war der Clou der Tänze an der Oper. Er wurde in allen Formen—von der korrektesten bis zur größten Übertreibung—zu lebhaftem Gelächter und tosendem Applaus getanzt. Der Yankee-Tanz überwog in solchem Maße, dass sogar Tangos im Stil „cake-walk“ getanzt wurden.

Der zweite Platz gebührt, wie immer, dem Politeama, in dem eine enormes Publikum, welches bereit war, sich im Rahmen der Vernunft zu amüsieren, einen angenehmen Abend mit angemessenen Späßen, funkelnden Streichen und einer Fülle von Tangos verbrachte. Von den populären Theater wurde das Argentino am meisten von criollo Teilnehmern begünstigt. Dort war der Tango mit corte und quebrada tonangebend. Es zeigten sich einige wirklich bemerkenswerte Paare, die dem Publikum in den Logen begeisterten Applaus entlockten...

Im Marconi, Apolo, Victoria und Nacional wurde ebenso enthusiastisch getanzt, und es gab Momente, wo das Gedränge der Tänzer so groß war, dass man sich nicht mehr von der Stelle bewegen konnte.
...



Es zeigt sich, dass das Erscheinen des Tangos auf der Theaterbühne entscheidend zu seiner Popularisierung in der breiten Öffentlichkeit beigetragen hat. Der mythische Tango der Vorzeit war tot, so wie der Artikel es versichert, aber auf der Bühne wurde er im Gedächtnis behalten und dem Publikum durch die Podestà vermittelt, das es mit zunehmender Begeisterung aufnahm. War die Tatsache, dass „Polizeiwachtmeister Pfeift“ einen bekannten Schauspieler als Tango-tanzenden Nichtstuer aufgreift, ein Zeichen exekutiven Übereifers?





© 2017 Wolfgang Freis