Der
Film ist kein kinematographisches Meisterwerk. Im Gegenteil: die
Handlung ist schwach, die Schauspielerei meistens unbeholfen und die
Dialoge dürftig. Aber da ist die Musik! Die Produzenten brachten
einige der besten Tangomusiker der Zeit zusammen. Unter ihnen sind
vier herausragende Sängerinnen und Schauspielerinnen: Tita Merello,
Azucena Maizani, Mercedes Simone, und Libertad Lamarque.
Karikaturen
aus Caras y Caretas.
Von
links nach rechts: Tita Merello, Azucena Maizani, Mercedes Simone,
Libertad Lamarque
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Die
vier Frauen begannen ihre Karriere in 20er Jahren und waren bis nach
den 40er Jahren die absoluten Superstars des Tangos. Im öffentlichen
Leben waren sie allgegenwärtig: man sah sie in Zeitschriften, auf
der Bühne, auf der Leinwand; man hörte sie auf Schallplatten und im
Radio.
1. Tita Merello
Tita Merello |
Tita
Merello (1904-2002) wuchs in den ärmlichsten Verhältnissen in
Buenos Aires auf. Sie besuchte nie eine Schule und lernte Lesen und
Schreiben erst, als sie Fortschritte in ihrer Bühnenkarriere machte.
Ebenfalls durchlief sie nie eine Ausbildung als Schauspielerin oder
Sängerin, errang aber schnell einen Ruf als erstklassige
Darstellerin. Ihr erster Bühnenversuch asl Sängerin—sie war noch
im besten Backfischalter—endete in solch einem Fiasko, dass sie
schwor, nie wieder zu singen. Dennoch sang sie bald wieder Tangos in
Theaterstücken, die so beliebt wurden, dass sie auf Schallplatten
aufgenommen wurden.
1932,
ein Jahr vor der Fertigstellung von Tango!, feierte Merello
einen großen Erfolg in La Muchachada del Centro, einer
musikalischen Komödie mit Musik von Francisco Canaro zu einem
Textbuch von Ivo Pelay. Canaro, der auch das Orchester dirigierte,
erinnerte sich ihrer später als einer anspruchsvollen
Perfektionistin während der Proben. Die Komödie was einer der
größten Theatererfolge des Jahres und wurde nur abgesetzt, da
Canaro zuvor andere Verpflichtungen eingegangen war.
In
Tango! spielte Merello die Rolle einer jungen Frau aus den
Armutsvierteln, zu der der männliche „Held“ am Ende zurückkehrt,
nachdem er sie hatte sitzen lassen, um sein Glück anderweitig zu
suchen. Das Orchester, das Merello im folgenden Ausschnitt begleitet,
ist das Conjunto de la Guardia Vieja von Ernesto Ponzio
(Geige) und Juan Carlos Bazán (Klarinette).
2. Azucena Maizani
Azucena Maizani |
„Eine
hübsche junge Frau mit tiefschwarzem Haar kam oft ins 'Pigall'. Als
wir uns eines Abends unterhielten, erzählte sie mir, dass sie auch
sang. Ich hatte die Idee, sie zu fragen, ob sie nicht Lust hätte,
nach einigen Proben vor einem Publikum zu singen. Ich würde sie mit
meinem Orchester begleiten. Sie nahm das Angebot gerne an, und
nachdem wir geprobt hatten, kündigten wir sie dem Publikum an. Ich
stellte sie selber unter den Name 'Azabache' vor—auf Grund ihrer
Haare. Sie sang El rebenque planteado und die Milonga La
Verdolaga, die sie Carlitos Gardel abgehört hatte. Es muss gar
nicht erwähnt werden, dass sie von Anfang an einen riesigen Erfolg
hatte, denn sie sang wirklich wunderbar und mit viel Gefühl.“
So
beschrieb Francisco Canaro, wie er Azucena Maizani (1902-1970)
entdeckt hatte. Der Beiname 'Azabache' (Gagat, pechschwarz), den
Canaro ihr gab, hielt sich nicht, aber sie wurde schnell eine äußerst
beliebte Tangosängerin, die zu den meist auf Schallplatte
aufgenommenen Künstlern der 20er Jahre gehörte (mit dem Orchester
Francisco Canaro).
In Tango! tritt sie
bezeichnenderweise gleich zu Anfang auf und singt während des
Filmvorspanns. Im Film selber erscheint sie als Tangosängerin in
einem schäbigen Cabaret der Vororte Buenos Aires. Das
orquesta típica
wird von Juan de Dios Filiberto dirigiert, der auch der Komponist des
Tangos im folgenden Ausschnitt ist. (Botines viejos,
mit einem Text von Alberto Vaccarezza.)
3. Mercedes Simone
Mercedes Simone |
Mercedes
Simone (1904-1990) begann an der Seite ihres Mannes, des Gitarristen
Pablo Rodríguez, zu singen. Anfangs sang sie nur am Wochenende in
den Kleinstädten der Umgebung ihrer Heimatstadt La Plata, um das
Familieneinkommen zu erhöhen. Ihr Debüt als Berufssängerin feierte
sie 1926 in Bahía Blanca.
Unbeabsichtigterweise
gab Simone einen entscheidenden Anstoß zur Popularisierung der
getanzten Milonga. Rosita Quiroga hatte Homero Manzi gebeten, ihr
eine Milonga zu verfassen. Manzi bat Sebastián Piana um Hilfe, und
beide komponierten Milonga sentimental. Rosita Quiroga gefiel
das Stück nicht, da es nicht ihren Erwartungen entsprach und nicht
in ihr Repertoire passte. Piana fragte daher Mercedes Simone, ob es
ihr zusagen würde. Sie nahm es auf einen Konzerttour nach Montevideo
mit und sang es dort mit großem Erfolg. Sie war die erste, die die
Milonga nach ihrer Rückkehr nach Buenos Aires auf Schallplatte
aufnahm.
In
Tango! singt Mercedes Simone auch die Milonga sentimental,
begleitet von Pedro Maffias orquesta típica. 1934 griff
Maffia das Stück wieder auf und ließ es von Rosita Montemar während
der Radioübertragung eines groß angekündigten Konzertes singen.
Damit gelang der Milonga sentimental der Durchbruch zur
Beliebtheit beim größeren Publikum.
Im
folgenden Filmausschnitt singt Mercedes Simone Cantando, eine
eigene Komposition, begleitet von Pedro Maffia und seinem orquesta
típica.
4. Libertad Lamarque
Libertad Lamarque |
Libertad
Lamarque (1908-2000) kannte die Theaterbühne schon von Kindesbeinen
an und fing mit 12 Jahren an, berufsmäßig als Schauspielerin zu
arbeiten. Auf der Bühne sang sie zum ersten Mal einen Tango im Jahr
1926. Ein Jahr später wurde sie von der Schallplattenfirma Victor
unter Vertrag genommen. 1931 nahm sie an einem Wettbewerb, La
Fiesta del Tango, in Buenos Aires teil, in dem sie den ersten
Platz belegte und damit zur „Königin des Tangos“ gekrönt wurde.
Libertad
Lamarque während ihres Vortags von La Cumparsita bei der
Fiesta del Tango.
Mitte oben sieht man das Orchester Francisco
Canaro.
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Im
folgenden Ausschnitt des Films sieht man Libertad Lamarque als
Sängerin der besseren Gesellschaft während ihrer Reise auf einem
Ozeandampfer nach Paris.
5. La Orquesta de Señoritas
Neben
Sängerinnen gibt es nur wenige Tangomusikerinnen, die mit Namen
bekannt sind. Trotzdem waren Orchester, die hauptsächlich oder
ausschließlich aus Frauen bestanden, keine große Seltenheit. Sie
gehörten zu Ensembles, die zum Beispiel in Cafés auftraten. Über
die Gruppe, die im folgenden Ausschnitt den Tango Pipiolo darbietet, wurde im Film leider
keine Angaben gemacht. Es ist aber offensichtlich, dass dort
fachkundige Musikerinnen auftraten, die sich darauf verstanden, einen
Tango zu spielen.
© 2017 Wolfgang Freis
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