Saturday, July 29, 2017

Die zehn Gebote des perfekten Tänzers


(Aus Caras y Caretas, Buenos Aires, 1929)


I. Du sollst tanzen mit deiner ganzen Begeisterung, mit all deinen Sinnen und mit ganzen Herzen. Der Tanz ist ein Vergnügen, das alle Feierlichkeiten eines Rituals verlangt.

II. Du wirst der Führer deiner Partnerin sein, die dir in jedem Moment folgen und dich verstehen soll. Widrig wäre es, ihre Aufmerksamkeit durch Plauderei zu zerstören.

III. Dein rechter Arm ist die Hauptverbindung der Kommunikation zwischen deinem Gedanken und deiner Partnerin: Du wirst darauf achten, dass er ihr nicht gleichzeitig zu einem Folterinstrument oder zu einer Knittermaschine der Kleidung wird. Du kannst die mangelnde Dankbarkeit, die du in deiner Partnerin erweckt hast, auch beobachten, wenn sie nach dem Stück, das sie mit dir getanzt hat, den wenig erbaulichen Anblick bietet, sich wie nach einem Ringkampf die Kleidung ordnen zu müssen.

IV. Du sollst dein Jackett zuknöpfen. Vergiss nicht, dass Deine Partnerin kein Kätzchen ist, dass seinen Kopf in deinem Anzug verstecken will.

V. Du sollst deine Hand nicht ausstrecken, wenn du sie zu einem Stück einlädst. Der Tanz ist ein gemeinsames Vergnügen und kein Dienst, den man sich wie ein Almosen erbettelt. Bedenke auch wie armselig du aussehen wirst, wenn sie ablehnen sollte und du die Hand, die du unvorsichtigerweise ausgestreckt hast, wieder zurückziehen musst. Deine Regel soll sein, sich respektvoll der Auserwählten zu nähern, sie mit einer leichten Neigung des Kopfes zu grüßen und sie zu fragen, ob sie mit dir zu tanzen wünsche. Wenn die Antwort bejahend ausfällt, begleite sie, ohne ihr den Arm zu geben, zu dem Platz, an dem der Tanz beginnen soll. Nach dem Ende des Tanze wirst du sie in gleicher Weise zu ihrem Platz zurück begleiten. Bedenke: sie ist deine Partnerin und keine Beschützte wie den guten alten Zeiten des Menuetts und der Pavane.

VI. Du sollst deiner Partnerin nie sagen (selbst es eine traurige Wahrheit ist), dass dir Gewandtheit und Eleganz im Tanz unbekannt sind. Du wirst sie dahingehend beeinflussen, dass sie sich „gehemmt“ fühlt. Und mach dir keine Sorgen: sie wird dein Verhalten besser beurteilen, als du selbst.

VII. Du sollst immer mit einem Rück- oder Seitwärtsschritt beginnen. Dieses System wird es deiner Partnerin erleichtern, dich zu verstehen, und das Risiko einer Kollision ist verringert.

VIII. Du sollst der allgemeinen Richtung folgen, in der sich die anderen Tänzer bewegen. Es ist gut möglich, dass du deine vermeintlich unnachahmliche Gabe des Tanzens zur Schau stellen kannst, wenn du in der Mitte des Saales oder gegen die Strömung tanzt. Wenn Du aber die stummen Flüche, die dir die Mehrheit an den Kopf wirft, hören könntest, würdest du zweifelsohne sofort dein unsinniges Vorhaben abbrechen.

IX. Du sollst mit Natürlichkeit tanzen. Dies schließt Eleganz ein. Der menschliche Körper nimmt von selbst eine aufrechte Haltung an. Selbst ein Blinder sieht das Zwanghafte der Bewegung, wenn man sich eine andere aneignet.

X. Und dies sind die zehn Gebote, die einen guten Tänzer ausmachen: Du sollst tanzend tanzen! Jeder Verstoß zieht sofortige Bestrafung in Form von giftigen Kommentaren nach sich.





Übersetzung © Wolfgang Freis 2017

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