(Aus Caras y Caretas,
Buenos Aires, 1929)
I. Du sollst tanzen mit deiner ganzen
Begeisterung, mit all deinen Sinnen und mit ganzen Herzen. Der Tanz
ist ein Vergnügen, das alle Feierlichkeiten eines Rituals verlangt.
II. Du wirst der Führer deiner
Partnerin sein, die dir in jedem Moment folgen und dich verstehen
soll. Widrig wäre es, ihre Aufmerksamkeit durch Plauderei zu
zerstören.
III. Dein rechter Arm ist die
Hauptverbindung der Kommunikation zwischen deinem Gedanken und deiner
Partnerin: Du wirst darauf achten, dass er ihr nicht gleichzeitig zu
einem Folterinstrument oder zu einer Knittermaschine der Kleidung
wird. Du kannst die mangelnde Dankbarkeit, die du in deiner Partnerin
erweckt hast, auch beobachten, wenn sie nach dem Stück, das sie mit
dir getanzt hat, den wenig erbaulichen Anblick bietet, sich wie nach
einem Ringkampf die Kleidung ordnen zu müssen.
IV. Du sollst dein Jackett zuknöpfen.
Vergiss nicht, dass Deine Partnerin kein Kätzchen ist, dass seinen
Kopf in deinem Anzug verstecken will.
V. Du sollst deine Hand nicht
ausstrecken, wenn du sie zu einem Stück einlädst. Der Tanz ist ein
gemeinsames Vergnügen und kein Dienst, den man sich wie ein Almosen
erbettelt. Bedenke auch wie armselig du aussehen wirst, wenn sie
ablehnen sollte und du die Hand, die du unvorsichtigerweise
ausgestreckt hast, wieder zurückziehen musst. Deine Regel soll sein,
sich respektvoll der Auserwählten zu nähern, sie mit einer leichten
Neigung des Kopfes zu grüßen und sie zu fragen, ob sie mit dir zu
tanzen wünsche. Wenn die Antwort bejahend ausfällt, begleite sie,
ohne ihr den Arm zu geben, zu dem Platz, an dem der Tanz beginnen
soll. Nach dem Ende des Tanze wirst du sie in gleicher Weise zu ihrem
Platz zurück begleiten. Bedenke: sie ist deine Partnerin und keine
Beschützte wie den guten alten Zeiten des Menuetts und der Pavane.
VI. Du sollst deiner Partnerin nie
sagen (selbst es eine traurige Wahrheit ist), dass dir Gewandtheit
und Eleganz im Tanz unbekannt sind. Du wirst sie dahingehend
beeinflussen, dass sie sich „gehemmt“ fühlt. Und mach dir keine
Sorgen: sie wird dein Verhalten besser beurteilen, als du selbst.
VII. Du sollst immer mit einem Rück-
oder Seitwärtsschritt beginnen. Dieses System wird es deiner
Partnerin erleichtern, dich zu verstehen, und das Risiko einer
Kollision ist verringert.
VIII. Du sollst der allgemeinen
Richtung folgen, in der sich die anderen Tänzer bewegen. Es ist gut
möglich, dass du deine vermeintlich unnachahmliche Gabe des Tanzens
zur Schau stellen kannst, wenn du in der Mitte des Saales oder gegen
die Strömung tanzt. Wenn Du aber die stummen Flüche, die dir die
Mehrheit an den Kopf wirft, hören könntest, würdest du
zweifelsohne sofort dein unsinniges Vorhaben abbrechen.
IX. Du sollst mit Natürlichkeit
tanzen. Dies schließt Eleganz ein. Der menschliche Körper nimmt von
selbst eine aufrechte Haltung an. Selbst ein Blinder sieht das
Zwanghafte der Bewegung, wenn man sich eine andere aneignet.
X. Und dies sind die zehn Gebote, die
einen guten Tänzer ausmachen: Du sollst tanzend tanzen! Jeder
Verstoß zieht sofortige Bestrafung in Form von giftigen Kommentaren
nach sich.
Übersetzung ©
Wolfgang Freis 2017
No comments:
Post a Comment